Montag, 2. Juni 2014

Die Rache an der späten Geburt



Die SPIEGEL-Ausgabe 21/2014 befasste sich in ihrer Titelgeschichte mit Arbeitnehmern, die trotz Rentenalter noch arbeiten. Der Artikel war eine schlechte Umsetzung von PR-Propaganda zur Titelgeschichte. Als Beispiele durften wenig repräsentative Mitmenschen herhalten. Eine Putzfrau in Teilzeit, die aufgrund ihrer geringen Rente und eines pflegebedürftigen, behinderten Sohnes noch im hohen Alter arbeiten muss. Und gut ausgebildete Männer, die entweder während ihres Erwerbslebens als (erfolgreiche) Selbständige keine Beiträge in die Sozialkassen abgeführt haben oder nicht ohne Chef-Status auskommen können. Außerdem ein Rentner, der nicht mehr 40 Stunden pro Woche Vollzeit arbeitet, sondern lediglich zwei Tage in der Woche. Und das aufgrund seines Mangels an Freizeitbeschäftigung. Diese schlecht gewählten Beispiele sollten als Querschnitt der Rentner dienen. Sowie als Plädoyer für die Anhebung des Rentenalters.
 
Als Gewerkschafter kann ich das nicht hinnehmen, weil eine Minderheit über das Renteneintrittsalter hinaus berufstätig bleiben will. Dagegen genießen viele Rentner berechtigt ihr Dasein.

Jedoch gab es zu dem Thema auch Leserbriefe. Beispielsweise den von Elisabeth Vogel aus München und Rainer Sturm aus Herne. Sturm schrieb, dass seine Generation den Krieg und die enthaltsamen Nachkriegsjahre miterlebt und die Gesellschaft wieder aufgebaut habe. Das stimmt eindeutig. Jedoch schreibt er auch, dass den nachfolgenden Generationen diese erbrachten Leistungen als Nachlass zur Bewahrung übergeben werden. Oha!

Sturm verkennt, dass sich eine Gesellschaft ständig weiterentwickelt und nicht nur historische Errungenschaft bewahrt. Es gibt kein Ende der Geschichte, wie es viele Menschen nach 1990 glaubten.

Beispielsweise vollbringen heutige Generationen im berufstätigen Alter Leistungen, von denen auch spätere Generationen profitieren. Etwa die Vernetzung der Welt. Ich bezweifle, dass Herr Sturm und seine Altersgenossen Glasfaserkabel für den schnellen Internetzugang gelegt haben. Ferner profitieren nicht nur die nachfolgenden Generationen von den erbrachten Leistungen, sondern auch die Rentner wie Herr Sturm. Die Häuser, die nach dem Krieg aufgebaut worden sind, kommen nicht nur den Jungen zugute. Außerdem hat Herr Sturm leicht reden. Hat er sich jemals bei seiner Urururoma bedanken und diese würdigen können? Aber das ist auch egal.

Herr Sturm sollte auch bedenken, dass seine Generationen zwar das goldene Zeitalter ist, jedoch mit nicht immer würdigungsvollen Nachlass. Beispielsweise gab es nach 1990 Einschnitte bei den sozialen Errungenschaften und die Liberalisierung der Märkte, woran später die heutige Jugend noch zu knabbern haben wird.
 
Wir sollten aufhören, unsere jeweils eigene Generation als das Maß aller Dinge zu betrachten. Die Wahrheit hat keiner gepachtet. Fakt ist, dass die alten Mitmenschen ihre Rente oder ihre Pensionen verdient haben. Jedoch ging es bislang keiner Rentnergeneration so gut wie der heutigen. Und keiner zukünftigen Generation wird es jemals so gut gehen. Deshalb fragte ich einen befreundeten Bio-Statistiker, wie hoch meine Lebenserwartungen sind. Und ich war erschrocken, weil ich unbedingt nebenbei für’s hohe Alter sparen muss. Das macht mir Angst, weil Riestern unsicher ist. Lebensversicherungen? Bitte nicht! Ein Eigenheim? Aber heutige Arbeitgeber erwarten Mobilität und Flexibilität, und dann habe ich mit immer höheren Krediten zu kämpfen! Das war alles früher nicht der Fall.

Durch die hohen Renten von heute wird die heute erwerbstätige Generation unverhältnismäßig belastet. Das ist auch nicht richtig. Deswegen bedarf es unbedingt eine Bürgerrente wie in der Schweiz, bei der jeder einzahlt und jeder den gleichen Anspruch hat, damit die Gnade der späten Geburt nicht zur Rache an der späten Geburt wird. Generationengerechtigkeit ist soziale Gerechtigkeit, bei der die Jungen wie die Alten, die Reichen wie die Sozialschwachen ihren Beitrag leisten und Anerkennung erfahren. Ein Ausspruch wie „Schämt Euch!“ ist deshalb unangebracht, was meinen Sie dazu, Herr Sturm?

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