In der Kulturwissenschaft gibt es
die etwas überholte These vom gefallenen Kulturgut. Sie besagt, dass
Kulturgüter von der Oberschicht eingeführt werden und mit der Zeit sich den
unteren Schichten erschließt. Diese Güter durchlaufen also eine Abwertung.
Jedoch ist es ziemlich arrogant und anmaßend zu glauben, dass die soziale
Oberschicht der alleinige Kulturträger sei.
Allerdings gibt es tatsächlich
andere Sachen, deren Notwendigkeit darin besteht, dass diese eine Herabsetzung
erfahren. Nehmen wir den Beruf des Historikers. Ich bin selbst einer. Dafür
musste ich studieren. Das Studium schloss ich damit ab, dass ich eigenständig
eine kleine dunkle Nische in der Geschichte ausleuchtete und erforschte. Damit
erlangte ich den Titel eines Magistri artiums (Nominativ: Magister artium). Ein
vollkommen banaler Titel.
Für eine Doktorarbeit sind die
Anforderungen noch etwas größer. Wer erfolgreich promoviert werden möchte, muss
eine große, unbeackerte Nische ausfindig machen, diese erforschen, analysieren
und verorten. So ließ ich es mir von einem Lehrstuhlinhaber für Geschichte
erklären. Dies wurde durch andere Dozenten bestätigt.
Doch als ich im SPIEGEL (17/2014)
auf Seite 48 den Artikel „Wichtig, wichtig: Hunderte Politiker und
Wirtschaftsführer erhielten in den Jahren des RAF-Terrors Personenschutz. Eine
Studie belegt: Viele schätzten das Prestige.“ las, traute ich meinen Augen
nicht. Die Historikerin Maren Richter schrieb in ihrer Dissertationsarbeit
„Leben im Ausnahmezustand“ über das Leben wichtiger deutscher Persönlichkeiten
während des RAF-Terrors. Dabei fand Richter heraus, dass Politiker, hohe Beamte
und Wirtschaftsführer die Annehmlichkeiten von Begleitschutz sehr schätzten.
Die Polizisten waren Schutz und Butler zugleich. Gleichzeitig fühlten sich die
möglichen Opfer mit Schutz wichtig. Es verschaffte ihnen Bedeutung nach innen
und nach außen. Das ging damals so weit, dass sie eine Reduzierung des
Personenschutzes ablehnten. Wahnsinn! Eine solche Erkenntnis bedurfte einer
wissenschaftlichen Aufarbeitung und hat entsprechend eine Summa cum risu
verdient. Mit Betonung auf Risu (risus, latein für Gelächter).
Und deswegen sollten wir
aufpassen, was die Geschichtswissenschaft demnächst produziert. Vielleicht
findet bald ein Historiker heraus: „Mit einer Waffe in der Hand, fühlt man sich
stark und die Welt kann den Waffenträger ‘mal.“ Oder: „Im Krieg haben Menschen
Angst.“ Man sieht die letzten großen anthropologischen Fragen durch die
Geschichtswissenschaft beantwortet!
Aber konkret stehen auch andere
Projekte an. Etwa: „Familienwerte im gesellschaftlichen Wandel: Die
US-amerikanische Familie im 20. Jahrhundert“. Darin die Erkenntnis: „Ja, die
Rolle der Frau hat sich gewandelt. Aber auch die Rolle des Mannes! Früher musste
der Mann von der Frau bedient und umsorgt werden. Und das hauswirtschaftlich
und sexuell. Und natürlich gefiel das den Frauen damals.“
Ganz spannend scheint auch „Deutsche
"Feindaufklärung" vor dem Ersten Weltkrieg: Art und Bedeutung der
Informationsgewinnung zur militärischen Stärke Frankreichs und Russlands
1894-1914“. Eine notwendige Erkenntnis, die unser Geschichtsbild
revolutionieren wird. Vielleicht dreht sich die Welt nach Bewertung all dieser
Dissertationen schneller. Vielleicht putzt sich Frau Müller morgen auch nur die
Zähne unter der Dusche, ohne zu duschen. Man weiß es nicht. Doch wer ist Frau
Müller?
Aber ganz bestimmt, werden sich
die Erkenntnisse aus all den genannten Arbeiten einreihen unter den Großen der
Wissenschaft. Marx‘ Historischer Materialismus oder Hegels Determinismus. Dazu
meinte einmal ein ehemaliger Promotionsstudent der Volkskunde, eine historisch
arbeitende Kulturwissenschaft, zu mir, dass der Determinismus in der Physik und
anderen Naturwissenschaften doch weitaus besser ausgehoben sei, weil diese
Wissenschaften doch viel konkreter seien. Dazu: Ja, die Physik ist die
Wissenschaft der Größen und damit ziemlich konkret bezifferbar. Doch Worte sind
auch konkret. Dagegen besagt der Determinismus vielmehr, dass Dinge, so wie sie
eintreten, vorherbestimmt sind. Ereignisse sind demnach in ihrer Entwicklung
vorherbestimmt. Wer dies jedoch bestimmt, ist eine Frage des Idealismus oder
Materialismus. Doch das ist mir auch egal!
Wegen solcher Belanglosigkeit sollte, die
Geschichtswissenschaft unbedingt zum Lehrberuf herabgestuft werden. Schließlich
will diese Disziplin keine weiteren großen Würfe erzielen. Gleichzeitig
betreibt nun fast jeder Mensch Geschichtswissenschaft. Ob es nun Genealogie,
Diplomatik, Heraldik oder eine andere historische Hilfswissenschaft ist. Sogar
Museologie wird mittlerweile ehrenamtlich betrieben. Geschichte ist also die
Disziplin, bei der eh schon jeder mitredet. Also seien wir ehrlich und lassen
alle mitspielen! Das ist keine Schande. Alchemie und Astrologie haben die
gleichen Herabstufungen erfahren.
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