Christopher Gaffney lebt seit
fünf Jahren als Gastprofessor in Rio de Janeiro. Eigentlich stammt er aus den
USA. An der Universität Fluminense gibt derzeit er Seminare zur
Stadtentwicklung und erforscht die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen
der Fußballweltmeisterschaft 2014. Das ist toll. Wirklich!
Gaffney wurde im SPIEGEL
(20/2014) beschrieben. Weil Gaffney sich nicht nur wissenschaftlich betätigt,
sondern ebenfalls gegen die Verschwendung, Korruption und soziale Schieflage in
Brasilien protestiert, kreiden ihm Jens Glüsing und Maik Großekathöfer
mangelnde Objektivität an.
Jedoch vermögen die zwei
Journalisten nicht, zwischen Wissenschaftler und Privatperson zu
differenzieren. Gaffney kann selbstverständlich wissenschaftlich sauber
arbeiten und darf natürlich in seiner Freizeit über seine wissenschaftlichen Erkenntnisse
politisch hinaus aktiv werden. Das ist sogar sehr lobenswert.
Stellen Sie sich doch bitte einmal
folgende vergleichbare Situation vor: Sie sind Ingenieur bei Porsche und
dürften niemals einen Porsche erwerben. Wo kämen wir denn hin?
Und muss man als Historiker mit
Schwerpunkt auf die Nazi-Geschichte nicht zwangsläufig zum Urteil kommen, dass das
Nazi-Regime eindeutig ein verbrecherisches war? Laut Glüsing und Großekathöfer muss
das nicht unbedingt der Fall sein. Ein Beleg für diese Haltung findet sich in der
gleichen SPIEGEL-Ausgabe.
Agilolf Keßelring ist ebenfalls
Wissenschaftler. Er ist Historiker und Wissenschaftlicher Mitarbeiter der „Unabhängigen
Historikerkommission (UHK) zur Erforschung der Geschichte des BND, seiner
Vorläuferorganisationen sowie seines Personal- und Wirkungsprofils von 1945 bis
1968 und des Umgangs mit dieser Vergangenheit“ an der Philipps-Universität
Marburg im Fachbereich Geschichte. Außerdem ist er der Enkel von Albert
Keßelring, einem Generalfeldmarschall während des Zweiten Weltkriegs. Keßelring
junior hat aktuell ein Buch namens „Die Organisation Gehlen und die Verteidigung
Westdeutschlands. Alte Elitedivisionen und neue Militärstrukturen 1949-53“
veröffentlicht. Darin befasst er sich mit Albert Schnez, der in den frühen
Nachkriegsjahren in den westlichen Besatzungszonen und der späteren
Bundesrepublik eine Geheimarmee aufbaute. Schnez wurde später Heeresinspekteur
der jungen Bundeswehr. Allerdings war er vorher Oberst in der Wehrmacht und damals
Opa Keßelring direkt unterstellt. Na ja.
Wie Glüsing und Großekathöfer bestreitet
Klaus Wiegrefe die Objektivität von Agilolf Keßelring, indem er Keßelring ein
gnädiges Urteil über Schnez nachsagt. Das mag sicherlich stimmen.
So ist die Wissenschaft. Das geht
sogar so weit, dass Aufrufe zur Anti-Nazi-Demo nicht über universitäre Kanäle
laufen dürfen, wie es in Münster der Fall ist. Stattdessen darf man aber am
Aushang den Hinweis auf den Verkauf von Büchern veröffentlichen.
Als Akademiker gehört man schließlich der Elite an und
gibt sich mit dem Pöbel sowie den Niederungen der Politik ab. Marie Antoinette
sagte einmal: „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“ Marie
Antoinette hat den Knall der Revolution von 1789 nicht gehört. Hoffentlich dafür
aber Glüsing, Großekathöfer und Keßelring jr.
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